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Vorlesungen per Videokonferenz

„Allein vor der Kamera ist es schwierig, humorvoll und locker zu bleiben“

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 beschloss das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) am 11. März 2020 den Start des Sommersemesters 2020 an allen Universitäten und Hochschulen in Baden-Württemberg auf den 20. April zu verschieben. Für die DHBW bedeutete dies, die Unterbrechung der Präsenzveranstaltungen bis einschließlich 19. April 2020 zu veranlassen. Denn das duale Studium basiert im Vergleich zu vielen anderen Studienangebote auf dem Konzept der Dualität von Theorie und Praxis und war zu diesem Zeitpunkt bereits in vollem Gange. Viele Studierende befanden sich kurz vor der Prüfungsphase und andere starteten zum 30. März in die reguläre Theoriephase, während sich die Studierenden anderer Hochschulen des Landes zu dieser Zeit in den sogenannten Semesterferien befanden. Professor Dr. Martin Plag leitet gemeinsam mit Professor Dr. Wolfgang Hirschberger den Studiengang BWL-Controlling & Consulting an der Fakultät für Wirtschaft der DHBW Villingen-Schwenningen. Zusammen mit dem Studiengangssekretariat und den Lehrbeauftragten organisierten sie innerhalb kurzer Zeit den Übergang von der Präsenzlehre in das begleitete Selbststudium.

Lieber Herr Professor Plag, die Einschränkungen zur Ausbreitung des Coronavirus haben uns alle auch insofern überrascht, dass sie die Gesamtbevölkerung auf unterschiedliche Art und Weise betrifft. Welche Auswirkungen hat die Einstellung des Präsenzbetriebs für die Studierenden, die in den vergangenen Wochen Prüfungen ablegen sollten?

Prof. Plag: Alle Präsenzprüfungen wurden zunächst verschoben, denn wir wollten schnell sicherstellen, niemanden zu gefährden. In geringerem Umfang konnten wir dann ersatzweise andere Prüfungsformen wählen oder Prüfungen modifiziert durchführen. So wurden in Einzelfällen z. B. Präsentationen nicht vor einem Publikum gehalten, sondern kommentiert eingereicht. Andere angesetzte mündliche Prüfungen führten wir per Videokonferenz durch. Das funktionierte erstaunlicherweise deutlich besser, als wir zunächst angenommen hatten. Alle Prüfungen, die ohnehin keine physische Präsenz erforderten, wie beispielsweise Projekt- oder Bachelorarbeiten liefen und laufen momentan weiter. Hier wurden aber teilweise die Bearbeitungsfristen verlängert, weil auch in der Bibliothek derzeit nur die Online-Angebote genutzt werden können.

Und inwiefern waren Sie auf so eine doch abrupte Umstellung der Präsenzlehre hin zum Einsatz digitaler Medien im Zuge eines begleiteten Selbststudiums vorbereitet?

Prof. Plag: Um ehrlich zu sein, hätten wir – vermutlich wie viele andere auch – besser vorbereitet sein können, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Es gibt bereits seit Jahren gute Schulungsangebote von unserem Education Support Center (ESC) hier in Schwenningen. Ich habe aber, wie viele meiner Kolleg*innen, zu wenig Gebrauch von diesen gemacht. Natürlich stellen wir den Studierenden Skripte und andere Unterlagen seit langer Zeit ausschließlich elektronisch auf unserer Lernplattform bereit und auch ein großer Teil der Kommunikation verläuft über diese Plattform. Zahlreiche Bearbeitungsprozesse in der Lehre werden darüber hinaus seit Jahren elektronisch unterstützt. Aber man hätte mehr machen können, insbesondere in der Lehre.

Was ist für Sie in der aktuellen Situation neu und wie gehen Sie damit um?

Prof. Plag: Ich mag die direkte Interaktion mit den Studierenden im Hörsaal sehr und bewerte den persönlichen Umgang mit den jungen Leuten als eines der positivsten und wichtigsten Merkmale meines Berufs. Wer daran keine Freude hat, wird sich als Dozent*in schwertun. Insofern ist die Umstellung auf Vorlesungen per Videokonferenz sowie das Erstellen von Lehrvideos für mich eine Herausforderung. Hier ändert sich auch der Stil des Vortrags. Es ist sehr schwierig, humorvoll oder locker allein vor einer Kamera zu agieren, wenn man im Arbeitszimmer ein Lehrvideo „produziert“. Diese Situation wirkt auf mich immer noch sehr künstlich. Hier fehlt mir die direkte Rückmeldung der Studierenden. Bei Vorlesungen über Videokonferenz habe ich festgestellt, dass die aktive Beteiligung der Studierenden geringer ist, es gibt weniger Wortmeldungen. Am Anfang lag eine Herausforderung auch in der Auswahl der richtigen Software. Ich habe insgesamt vier oder fünf Produkte ausprobiert, von denen nicht alle stabil gearbeitet haben oder nicht anwenderfreundlich waren. Ich habe für mich jetzt ein Instrument gefunden, mit dem ich gerne und oft arbeite. Nach meinen ersten Erfahrungen ist es zudem sinnvoll, das Selbststudium mit weiteren Elementen anzureichern. Ich arbeite jetzt zusätzlich mit Kontrollfragen, Übungsaufgaben und Fallstudien sowie den dazugehörigen Lösungsansätzen, die mit den Studierenden in Chats oder Videokonferenzen diskutiert werden.

Das heißt, Sie haben bereits Entwicklungspotenziale ausgemacht?

Prof. Plag: In Summe läuft es sehr viel besser, als ich das zu Beginn gedacht hätte. Und lassen Sie mich bitte noch eines anfügen, weil es mir sehr wichtig ist: Unsere Herausforderungen sind doch im Vergleich mit anderen Branchen Kinkerlitzchen. Selbständige, Gastronomen, Einzelhändler, Fahrschulen, Automobilzulieferer oder Hoteliers, um nur einige zu nennen, stehen doch vor sehr viel größeren Herausforderungen als Hochschulen. Dort geht es um die nackte Existenz, während wir uns darüber unterhalten, wie man es hier und da noch etwas besser gestalten könnte. Natürlich gilt es, vieles zu beachten und zu regeln, vor allem im Bereich des Prüfungsrechts. Aber das ist alles mit ein wenig gutem Willen und Fleiß hinzubekommen. Es gibt aber auch einige Branchen in der Wirtschaft, die derzeit sehr stabil arbeiten können. Ich habe daher nur wenig Verständnis für Arbeitnehmer mit sicheren Jobs, die sich während der Krise bei voller Bezahlung über Homeoffice oder Ausgangsbeschränkungen beklagen. Beklagen können sich in der Tat alle, die um ihren Job oder ihre Existenz kämpfen müssen.

An welchen Maßnahmen arbeiten Sie derzeit, um die Lehre im begleiteten Selbststudium weiter zu verbessern? Gab es Rückmeldungen seitens der Studierenden?

Prof. Plag: Verbessern lässt sich alles. Immer. Ich stehe am Anfang eines Lernprozesses, weshalb sich bei der Nutzung verschiedener Medien meine Fähigkeiten hoffentlich noch verbessern werden. Wie vieles, erfordert auch die Nutzung genannter Medien Routine. Ich habe beispielsweise gemerkt, dass man die Struktur einer Vorlesung anpassen muss, wenn man diese per Video präsentiert. So ist es ratsam, unter anderem die Visualisierung auf Power-Point-Folien zu ändern und den Textanteil deutlich zu reduzieren. Das sind eher technische Dinge. Auch die Länge der Videositzungen habe ich gegenüber live-Vorlesungen gekürzt. Nach einer Stunde Videokonferenz ist Schluss. Dann hört mir auch der fleißigste Studi nicht mehr zu; auch sie sitzen ja mutterseelenallein vor dem Computer. Bisher zeigen sich die Studierenden aber ganz zufrieden mit den Ansätzen. Sie sind vor allem froh, wenn wir sie einigermaßen gut durch dieses Semester bringen und verstehen selbstverständlich die Besonderheit der Situation. Einer der Studenten hat mir kürzlich gesagt, er nimmt zum ersten Mal in seinem Leben bewusst wahr, Teil eines welthistorischen Ereignisses zu sein.

Planen Sie auf längere Sicht Lehrinhalte verstärkt unter Zuhilfenahme digitaler Medien zu vermitteln?

Prof. Plag: Ein ganz klares Ja. Diese Krise ist für mich eine große Chance, Neues zu lernen und das anschließend im „Normalbetrieb“ kontinuierlich zu nutzen, wenn auch nicht in gleicher Intensität. Schließlich freue ich mich wieder auf den Hörsaal.

Und was meinen Sie, hat die momentane Situation nachhaltige Auswirkungen auf den allgemeinen Hochschulbetrieb in Deutschland?

Prof. Plag: Was für mich gilt, wird vermutlich für die meisten anderen Lehrenden gelten und damit für die Hochschulen insgesamt. Wir werden zukünftig die Lehre verstärkt mit elektronischen Mitteln und Möglichkeiten ergänzen, davon bin ich fest überzeugt.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Professor Dr. Plag.

Professor Dr. Plag hält im Homeoffice eine Vorlesung.
"Annika Honacker"

Annika Honacker